Briefe an die Politik
Herr Tönnies und seine Subunternehmer fordern für ihre, in Quarantäne geschickten Beschäftigten, eine Entschädigung für den fortgezahlten Lohn. Schließlich durften die Schlachter nicht die Messer wetzen und das Grillfleisch für das Abendessen aus dem Schwein schneiden. Und schließlich mussten die Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen, trotz Quarantäne.
Rechtlich ist das zunächst mal einwandfrei. Das Infektionsschutzgesetz sieht das so vor.
Im Paragraph 56 heißt es da: „Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet.“
Ob da gegen Arbeitsschutzstandards verstoßen wurde und ob da eventuell Schadenersatzforderungen der Behörde gegen die Firma Tönnies geltend gemacht werden könnten, ist sicher zu prüfen, tut hier aber zunächst überhaupt nichts zur Sache.
Die Behörde hat eine Quarantäne angeordnet, also hat die Behörde zu entschädigen. So will es das Gesetz. Punkt.
Jetzt tritt aber die Politik auf den Plan und echauffiert sich.
Julia Klöckner (CDU) gibt zu Protokoll: „Ich habe dafür wenig Verständnis.“ und „Der Ärger der Bürger darüber wird durch das jetzige Vorgehen sicherlich nicht kleiner werden.“
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann lässt verlauten: „Ich würde mir anstelle von Herrn Tönnies und seinen Geschäftspartnern sehr genau überlegen, was man den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen eigentlich noch alles zumuten will.“
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter postuliert, dass die vollmundigen Reden von Herrn Tönnies „nur leere Worte waren und man kein Vertrauen in die Unternehmensführung haben kann. […] Wer auf ein System der Ausbeutung setzt, die Gesundheit von Menschen riskiert und selbst in der Mitverantwortung für angeordnete Quarantänemaßnahmen steht, sollte sich mit dem Ausreizen von möglichen Erstattungsansprüchen besser zurückhalten.“, so Hofreiter.
Die allgegenwärtige FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg fordert einen Verzicht auf die Entschädigung und stellt fest: „Dafür wurde schon eine ganze Region in Geiselhaft genommen. Ich finde es unanständig, sich auch noch auf Kosten der Steuerzahler schadlos halten zu wollen.“
Und auch die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast findet: „Infektionsgeschehen und Geschäftsmodell hängen zusammen. Tönnies hat Gütersloh den Lockdown gebracht und jetzt soll die Allgemeinheit bezahlen? […] Moralische und gesellschaftliche Verantwortung sieht anders aus.“
Es geht also um Moral.
Es geht also um das was „moralisch einwandfrei“ und „anständig“ wäre. Wie hat sich ein Unternehmer zu verhalten, der Verantwortung für seine Entscheidungen übernimmt? Kann der nicht einfach mal auf sein verbrieftes Recht verzichten, weil es der Anstand gebietet?
Okay, Frau Klöckner, Herr Laumann, Herr Hofreiter, Frau Teuteberg und Frau Mast, lassen Sie uns über Moral und Anstand reden.
Anständig wäre zunächst mal, Selbstkritik zu äußern, Selbstkritik daran, dass so menschenverachtende Zustände wie bei Tönnies jahrelang toleriert, möglicherweise sogar protegiert wurden.
Selbstkritik an der offenbar mangelhaften Ausführung des Infektionsschutzgesetzes, das solche „unmoralischen“ Entschädigungen zulässt.
Sie haben doch gerade ein paar Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. Diese Änderungen gingen durch Bundestag und Bundesrat. Damit haben alle Parteien, der oben genannten Kritiker mitgewirkt. Keiner kann sich rausreden. Warum haben Sie das Gesetz nicht einfach moralisch einwandfrei gestaltet?
Und wo wir gerade bei Moral sind.
Wenn es moralisch verwerflich ist zu entschädigen, wenn Unternehmen möglicherweise wissentlich, zumindest aber billigend in Kauf nehmen, eine Mitverantwortung für die Anordnung von Quarantänemaßnahmen zu tragen, lässt sich im Umkehrschluss zumindest eine Frage stellen:
Ist es nicht moralisch geboten, Unternehmen, die völlig unverschuldet durch Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz in Not geraten, endlich angemessen zu entschädigen, auch wenn diese Entschädigung im Gesetz nicht vorgesehen ist?
Handeln Sie endlich und kommen Sie Ihrer Moral und Verantwortung nach, die Sie auch bei Unternehmern einfordern!
https://www.n-tv.de/panorama/Toennies-kassiert-Schelte-fuer-Ersatz-Forderung-article21905328.html
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