Statusfeststellung – Herkunft, Funktionsweise, Ziel, Wirkung

Einleitung

Scheinselbständigkeit ist die Beauftragung einer Person mit Aufträgen, die in der Ausführung keine selbständige Arbeit darstellen. Entscheidend sind zwei Punkte: die Einbindung in den Betrieb des Auftraggebenden und die Weisungsgebundenheit des Auftragnehmenden. Es geht um die Beziehung der Vertragspartner zueinander und die Art, ob und wie zusammengearbeitet wird. Dies betrifft in unserem Bereich z.B. technische Dienstleistungen, Catering-/Bar, Kasse, Tür oder Stagehands.

Essence

Die Statusfeststellung dient Auftraggebern zu erkennen, ob es sich beim geprüften Auftragsverhältnis tatsächlich um eine Beauftragung handelt, oder ob ggf. eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Diese kann vorliegen, wenn durch die Art der Auftragsdurchführung eine Abhängigkeit des Auftragnehmers zum Auftraggeber entsteht. Hinweise dafür sind beispielsweise eine Einbindung in den Betrieb des Auftraggebers oder eine Weisungsgebundenheit des Auftragnehmers während der Durchführung eines Auftrages. Der Status kann auf Antrag im Vorhinein geklärt werden. Eine Statusfeststellung kann aber auch von Amtswegen durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) bis zu 4 Jahre nach Beendigung eines Auftrages durchgeführt werden. Sie richtet sich vorwiegend gegen die Beauftragungen von Selbständigen ohne Angestellte (sog. Solo-Selbständige), aber auch gegen Personengesellschaften und Ein-Personen-GmbH.

Die Entscheidung gilt immer rückwirkend, führt zu Nachzahlungen von Sozialabgaben und zu Strafzahlungen. Vorabentscheidungen werden bei einem Statusfeststellungsverfahren (SFV) nicht beachtet. Die Beweisführung basiert auf einer Indizienkette, die vom Wissen, persönlichen Erfahrungen und persönlicher Meinung des Prüfenden abhängt. Es gibt seit 2003 keine faktischen oder objektiven Merkmale für Selbständigkeit mehr, sondern nur eine Anreihung von Indizien und teilweise widersprüchlichem Richterrecht und Widersprüchen in den Rechtsgebieten (Sozialrecht versus Arbeitsrecht).

Dies führt zu großer Unsicherheit in der Beauftragung bestimmter Unternehmensformen und Unternehmenskonstellationen. Die Folge ist die Verlagerung der Aufträge ins Ausland, Selbständigkeit wird erschwert (im B2B-Bereich), es gibt in Deutschland immer weniger Selbständige* und die Innovationskraft wandert ab.

(* Quelle: de.statista.com 2024 „Anzahl der Erwerbstätigen (Arbeitnehmer und Selbstständige) mit Wohnort in Deutschland von 2012 bis 2023“)

Herkunft und Entwicklung der Gesetzgebung

Der Gesetzestext §7a SGB IV (Feststellung des Erwerbsstatus) besteht seit 01.01.1974. Die letzte Änderung fand am 27.03.2022 statt.

1999 Einführung eines Kriterienkatalogs:

  • Keine sozialversicherungspflichtigen Angestellten
  • Unternehmertypische Merkmale
  • 5/6-Regelung
  • Dieselbe Tätigkeit zuvor angestellt beim jetzigen Auftraggeber
  • Auftraggeber lässt dieselbe Tätigkeit regelmäßig auch von seinen Angestellten erledigen

2003 Novellierung des SGB IV

  • Kriterienkatalog wird ersatzlos gestrichen
  • Neugründer haben 3 Jahre Schutz, wenn sie Gründungszuschuss beantragt haben (Ich-AG)
  • Einzelfallprüfung wird eingeführt

2006 Ich-AG-Teil wird ersatzlos gestrichen. Der Gründungszuschuss bleibt bestehen.

2011 Gründungszuschuss wird Ermessenssache des bewilligenden Jobcenters.

2015 Prüfung der Künstlersozialabgaben (KSA) geht an die DRV

  • Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetzes (KSAStabG)

2017 §611a BGB (Arbeitsvertrag) wird beschlossen

  • Arbeitnehmer wird definiert
  • „Gesamtbetrachtung aller Umstände“ wird eingeführt

2022 werden zur „Vereinfachung und Beschleunigung“ des SFV fünf Maßnahmen hinzugefügt:

  1. Elementenfeststellung
  2. Antragsrecht auf Statusfeststellung Dritter
  3. Prognoseentscheidung
  4. Gruppenfeststellung
  5. Möglichkeit einer mündlichen Anhörung im Widerspruchsverfahren

Funktionsweise der Prüfung

 

Die DRV prüft gem. § 28p SGB IV alle vier Jahre die Sozialversicherungsabgaben eines Unternehmens mit Angestellten. Aufgrund der zusätzlich zu prüfenden KSA, muss die DRV auf die Fremdleistungskonten der Buchhaltung schauen, um künstlerische Tätigkeiten erkennen zu können. Dabei werden selbstständige Einzelunternehmer:innen aufgrund des Klarnamens gefunden. Der Amtsermittlungsgrundsatz ermöglicht es der DRV ein Statusfeststellungsverfahren zu beginnen, um bestimmen zu können, ob diese eine Beauftragung möglicherweise eine abhängige Beschäftigung war.

Im Folgenden werden dem Auftragnehmer und Auftraggeber die Fragebögen C0031 und V0023 zugesendet und der zugrundeliegende Vertrag geprüft, sofern ein solcher vorliegt.

Der Prüfende der DRV hat durch die „Rundschreiben der DRV an die Sozialpartner“ einen sehr groben und in alle Richtungen offenen Bewertungsrahmen. Dieser orientiert sich an BSG-Urteilen, an den Rundschreiben der Sozialpartner und an den von der DRV verfolgten Interessen.

Zu untersuchende Punkte sind die Einbindung des Auftragnehmers in den Betrieb des Auftraggebers und die Weisungsgebundenheit des Auftragnehmers. Das lässt viel Raum für Interpretation.

Eine Einbindung kann z.B. durch die Nutzung von Arbeitsmitteln des Auftraggebers geschehen oder durch die „dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“. Letzteres trifft vor allem bei Diensten höherer Art zu (z.B. Honorarärzte, Meister, Projektmanager). Ab wann der Wunsch des Kunden einer Weisung gleichkommt, ist nicht definiert.

Es wird verglichen, wie sich in selber Situation ein Angestellter verhalten würde. Kann der Prüfer keinen Unterschied erkennen, ist dies ein Indiz für eine Scheinselbständigkeit. Der Prüfer kann nach eigenem Verständnis, subjektiv und ohne Kenntnis der Branchengepflogenheiten darüber entscheiden. Solche Indizien werden so lange gesucht, bis ein Urteil möglich ist. Es gibt keine Haltelinie.

Das gesamte Verfahren läuft nur auf Papier ab. Die DRV verwendet regelmäßig Textbausteine, ohne auf Argumente der zu Prüfenden einzugehen. Eine mündliche Anhörung ist erst im Widerspruchsverfahren vor Gericht zugelassen (seit 2022).

Sieht die prüfende Person genügend Indizien für die Entscheidung, ergeht ein Bescheid der DRV, der meist horrende Nachzahlungen an Sozialabgaben vorsieht. Dazu kommen noch Strafzahlungen oder auch Gefängnisstrafe.

Die Berichte der betroffenen Unternehmen beinhalten immer, dass die DRV, um Widersprüche oder Klagen zu verhindern, Verhandlungen über die nachzuzahlende Summe aktiv anbietet.

Geprüft wird immer nur der einzelne spezifische Auftrag. Die Entscheidung der DRV hat keine Allgemeingültigkeit für eine Auftragsform oder für diesen Auftragnehmer. Nach jeder Prüfung eines Auftrages findet ein Resett statt. So kann ein Auftragnehmer bei demselben Auftraggeber am selben Tag sowohl selbständig tätig (Auftrag am Vormittag), als auch abhängig beschäftigt (Folgeauftrag am Nachmittag) sein.

Das Statusfeststellungsverfahren dauert im Schnitt 76 Tage.

Ziel der Statusprüfung

Mit dem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV soll den Beteiligten Rechtssicherheit darüber verschafft werden, ob sie selbständig tätig oder abhängig beschäftigt sind.

Daraus ergibt sich dann die Sozialversicherungspflicht (abhängig beschäftigt) oder die Befreiung davon (selbständige Tätigkeit).

Das grundsätzliche Ziel der Statusprüfung ist der Schutz von schutzbedürftigen Menschen, die zum Vorteil eines Arbeitgebers in die Selbständigkeit gezwungen werden. Deshalb gilt für das SFV auch ein Amtsermittlungsgrundsatz. Das SFV soll Situationen entdecken, in denen Arbeiten, die typischerweise von Angestellten/Arbeitern ausgeführt werden, in diesem Fall von Selbständigen erbracht werden, um dem Unternehmen des Auftraggebers Sozialabgaben zu sparen.

Zudem sollen durch die Statusfeststellung prekäre Verhältnisse und Unterwanderung des Mindestlohnes durch falsche Beauftragung erkannt werden. Es spielt auch mit rein, dass mehr Einzahlende auch Mehreinnahmen für die DRV Bund bedeuten.

Wirkung des Gesetzes

Der Begriff Selbständigkeit ist im Sozialrecht nicht definiert. Es gilt im Grunde die Umkehr der abhängigen Beschäftigung. Da es keine klaren Anhaltspunkte gibt, wann eine Arbeit selbständig ausgeführt werden kann, entsteht ein rechtsfreier Raum, der viel Spiel für Interpretationen lässt. Das führt dazu, dass Auftraggeber sich einem hohen Risiko ausgesetzt sehen, im Nachhinein ein Problem mit einer Beauftragung zu bekommen. Die Feststellung der Scheinselbständigkeit führt nicht selten zur Insolvenz eines bis dahin funktionierenden und liquiden Unternehmens, das auch keine böse Absicht verfolgte.

Schwarze Schafe gibt es auch; das ist aber der geringste Teil der beauftragenden Unternehmen.

Das Unternehmen DHL hat im April 2024 alle Verträge mit freien IT-Spezialisten aufgekündigt. Sowohl in noch nicht begonnenen Projekten als auch in seit längerem laufenden und kurz vor dem Abschluss stehenden Projekten. Grund: die Rechtsunsicherheit des SFV. Die Arbeit wurde nun in das Ausland verlegt. Die Ergebnisse werden aber in Deutschland genutzt. Die Wertschöpfungskette liegt nur leider nicht mehr in Deutschland.

Vodafon hat dies bereits 2017 getan.

Die Einbindung des Auftragnehmers in den Betrieb des Auftraggebers wird an teils falschen, teils veralteten Indizien gemessen. Ein IT-Scrum-Projektrahmenwerk zur Softwareentwicklung wird so zur Einbindung in den Betrieb. Unsere Veranstaltungsplanung ähnelt einem Scrum-Projektrahmenwerk sehr.

Ein Shared-Document in der Cloud des Auftraggebers wird ebenfalls als Einbindung gesehen oder auch die Teilnahme des Auftragnehmers im (Beispiel) Microsoft-Teams-Team des Auftraggebers.

Grund ist: Angestellte nutzen dieselben Systeme. Aus Wirtschaftssicht handelt sich dabei lediglich um moderne und effiziente Arbeitsmethoden, die nichts über die Einbindung aussagen.

Honorarlehrkräfte sind in den Schulbetrieb eingebunden (Herrenberg-Urteil), Physiotherapeuten in die Klinik aber nicht. OP-Ärzte sind es aber, weil sie für die Funktion des OP ausschlaggebend sind und somit „dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ des Auftraggebers haben.

Ein Notarzt, der mit dem eigenen Auto zum Unfallort fährt, ist selbständig; wird er aber vom Auftraggeber gefahren, ist er es nicht.

Ein Meister für Veranstaltungstechnik ist von der Musterversammlungsstättenverordnung (MVStättvO) für Veranstaltungen ab einer bestimmten Besucherzahl vorgeschrieben. Nach selbem Verordnungstext muss dieser unabhängig vom Betreiber des Ortes und vom Veranstalter – einer von beiden ist üblicherweise der Auftraggeber – seine Entscheidungen treffen.

Nach SFV ist er eingebunden, weil der Veranstalter/Betreiber ohne ihn gar nicht veranstalten kann.

Stuntleute tragen ein hohes Risiko. Sie bestimmen, wie ein Stunt ausgeführt wird, wo und mit welchem Equipment. Sie werden dennoch regelmäßig als scheinselbständig eingestuft, weil sie mit einem Teil ihrer Arbeit im Drehplan aufgeführt werden.

Interim Manager unterstützen Unternehmen in akuten Projekten z.B. in Krisensituationen oder in Fragen des globalen Wettbewerbes. Solche Einsätze sind dringend, immer befristet und setzen hohes Expertenwissen voraus. Sobald die Arbeitsweise eines Interim Managers in Teilaspekten der eines Festangestellten ähnelt, wird Scheinselbständigkeit aufgrund dienender Teilhabe am Arbeitsprozess durch die DRV unterstellt.

Sogar die Einladung zur Weihnachtsfeier ist seit langem ein Indiz für eine Einbindung in den Betrieb, weil diese auch den Angestellten zukommt. Würde der Auftragnehmer Eintritt bezahlen oder an der

Theke abkassiert werden, wäre das anders.

Man kann als Auftraggeber mit den besten Intensionen, einem klaren und eindeutigen Vertrag und mit klarer Abgrenzung der Tätigkeit agieren und dennoch kann es sein, dass der Prüfer der DRV die Situation anders sieht und auf Scheinselbständigkeit entscheidet.

Gegen ein solches Urteil der DRV kann natürlich geklagt werden. Das Verfahren zieht sich aber über Jahre hin und kostet viel Geld, Zeit und seelische Belastung. Der Ausgang bleibt bis zur Schlussentscheidung ungewiss. Die Richter der Landes- und Bundessozialgerichte orientieren sich an vergangenen Urteilen und an dem, was der Gesetzgeber mit dem Gesetz erreichen will. Dafür werden die Rundschreiben der DRV herangezogen, die vergangenen Urteile auslesen und daraus ableiten, wie die Rechtslage wohl sei. Das führt dazu, dass die Selbständigkeit immer unmöglicher gemacht wird.

Der Wille der Vertragspartner ist irrelevant. Die Höhe einer Vergütung muss „deutlich über der eines Angestellten liegen“. Sind damit 23 EUR pro Stunde bei Dolmetschern (Auftraggeber sind oft Justizbehörden, Polizei, Gesundheitswesen) gemeint oder 120 EUR pro Stunde bei IT-Fachleuten?

Kriterien, an denen sich Auftraggeber und Auftragnehmer orientieren könnten, gibt es seit über 20 Jahren nicht mehr. Es gibt nur Richterrecht, dass sich teilweise widerspricht und daraus abgeleitete Deutungen.

Fazit

Um die Wahrscheinlichkeit einer nachträglichen Eingruppierung als „Scheinselbständig“ im Rahmen einer Statusfeststellungsprüfung zu reduzieren, kommt es darauf an, dass zwischen den Vertragspartnern in der Zusammenarbeit „eine Lücke“ zu erkennen ist. 

Wer Entscheidungen getroffen hat und über die eigene Zeit und das eigene Handeln bestimmt hat ist der Fokus einer Statusfeststellung.

Ein Auftraggeber muss den Entschluss fassen, mit externen Dienstleister:innen arbeiten zu wollen. Die Zusammenarbeit und die Abläufe müssen diesem Entschluss angepasst werden und werden in Textform dokumentiert.

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